5.6. – 19.6.2021,

Epilog: Sami Schlichting, The Walls Have Ears

, Projektraum von Westfälischem Kunstverein und LWL-Museum für Kunst und Kultur

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Sami Schlichting, Nu Mattress No. 2, 2021, Stahl, Draht, Kabelbinder, Neonleuchten, Ungebrannter Ton, Heu, 205 x 132 x 35 cm

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Epilog markiert das letzte Kapitel eines Jahres in der liebgewonnenen „Hütte“. Epilog beschreibt einen Moment der Reflexion, des Innehaltens und des Rückblicks, aber auch des Aufbruchs und ist selbst eine Abfolge verschiedener Kapitel. Als eine Serie von vier Einzelausstellungen bietet sie einen Einblick in die Herangehensweise der einzelnen Künstler:innen, ihre Arbeitsweisen, Bild- und Materialwelten. Mit neuen Arbeiten, die von Skulptur über Installation bis hin zu Malerei, von forschungsbasierten Prozessen bis hin zu Erkundungen von Narrativen und Populärkultur reichen, verhandeln die vier Stipendiat:innen von Residence NRW⁺, Jasmin Werner, Sarah Buckner, Sami Schlichting und Pablo Schlumberger, die Besonderheiten des Projektraums von Westfälischem Kunstverein und LWL-Museum für Kunst und Kultur als Mittel zur Reflexion der materiellen und diskursiven Rahmenbedingungen ihrer eigenen Praxis. Welche Bedingungen liegen ihr zugrunde, welche Bedingungen setzt sie voraus? Unter Einbeziehung der spezifischen Räumlichkeit und der Fensterfront des Ausstellungsraumes beschäftigt sich diese Serie von Solos auch mit der Idee, was es für die jeweilige Arbeit bedeutet, unter den aktuellen Umständen ausgestellt zu werden. Sami Schlichtings Einzelpräsentation The Walls Have Ears ist die dritte der Ausstellungsserie.

Gleichermaßen elegant und prekär anmutende Figuren und Formen bevölkern den Raum. Ihre skizzenhaften Silhouetten und spitzen Auswüchse werden von verwitterten Sockeln getragen. Wände und Podeste sind ihnen zur Seite gestellt – unklar, ob sie als Kulissen dienen oder selbst schemenhafte Requisiten sind, die womöglich noch auf einen ganz anderen Auftritt warten und nur zufällig hier hineingeraten sind. Kabel schlängeln sich über den Boden, funktionale Neonröhren setzen mit ihrem kalten Licht Akzente, und hervorstechende Kabelbinder werfen gespenstische Schatten an die Wand, die in diesem Szenario selbst von einer Art Geist heimgesucht werden könnte.

Die Skulpturen und Wandarbeiten in The Walls Have Ears sind größtenteils Wiederaneignungen früherer Arbeiten des Künstlers. Zerstört, als Sperrmüll entsorgt oder in nicht mehr zugänglichen Orten deponiert, existieren sie nur noch im Bilderarchiv oder als Erinnerungen. Eine solche Remix-Praxis sollte jedoch nicht als bloße Wiederholung verstanden werden, im Sinne einer digitalen Reproduktionslogik, in der Original und Kopie identisch sind. Vielmehr folgen die Wiederaneignungsprozesse einem Zugriff, der die lineare Abfolge der Zeitebenen durcheinanderbringt. Als wäre das bereits Vergangene etwas, das auf seine noch bevorstehenden Entdeckung oder Realisierung wartet, schreibt es sich dort ein, wo Erinnerungen sich mit aktuellen Einflüssen zur Produktion neuer künstlerischer Arbeiten paaren.

Aus Alltagsmomenten und jeglichen Arealen der Unterhaltung sammelt Sami Schlichting visuelle Notizen wie schicksalhafte Hinweise in einer Schatzsuche, die zunächst banal erscheinen und sich dennoch im Gedächtnis verankern, oft sogar sensorisch dem Körper in Erinnerung bleiben: Die Bewegung einer Zeichentrickfigur, das Motiv eines Plattencovers, die Form eines Sperrmüllfundes, kleinste Bilddetails aus Nachrichtensendungen, Szenen aus Body-Horror-Filmen wie David Cronenbergs Die Fliege, Ridley Scotts Alien und Katsuhiro Otomos Akira oder eben jene popkulturell oft zitierte Redewendung, die dieser Ausstellung ihren Namen gibt.

Derlei Referenzen werden in den Arbeiten von Sami Schlichting so abstrahiert, dass sie höchstens noch vage Assoziationen wecken. Dies mag auch an den verwendeten Materialien liegen: Organisches wie Heu und ungebrannter Ton trifft auf standardisierte, handelsübliche Teile aus Metall, Holz, Draht, Styropor und Kunststoff. Zwischen Zufall und Absicht, Exzess und Reduktion, organisch anmutender Form und Formlosigkeit wankend, machen die Skulpturen an keinem dieser Pole halt. Man könnte sie als Verkörperungen des Unmöglichen begreifen, als Ausgeburten einer Zwischenwelt.

Insofern könnte Remix hier auch im Sinne von Mutation verstanden werden und Mutation wiederum als eine fortwährende Möglichkeit der Variation, die immer sowohl das Potenzial von Offenheit und Pluralität als auch eine latente Gefahr birgt – des Monströsen, des Ansteckenden, des Unbekannten, des Formlosen, des Grenzenlosen. Nicht umsonst fungiert die Figur des Aliens als „Allegorie der Apokalypse, die durch das Fehlen einer Grenze zwischen der Welt und dem Jenseitigen, der Ordnung und dem Chaos, der Technik und der Natur, dem menschlichen und nicht-menschlichen Leben verursacht wird.“ (Gaia Giuliani) Und Prinzipien von Ursprung und Autorschaft, Innovation und Originalität werden spätestens dann hinfällig, wenn diese neuen Formen wieder neue Variationen gebären, in einem potenziell endlosen Spiel von Simulation, Wiederholung und Abweichung. Nichts ist jemals neu, nichts ist jemals verloren – es ändert nur die Form, erscheint immer wieder und immer anders.

Text: Marie Sophie Beckmann

Sami Schlichting (geb. 1987 in Cuxhaven, Deutschland) lebt und arbeitet in Düsseldorf. Seine Skulpturen verweilen in der Zweideutigkeit. Manche von ihnen sind ungestüm mit verlängerten Gliedmaßen, die sich wie Dendriten ausstrecken. Andere schauen mit gegenseitiger Neugier auf, als ob sie zurückblicken. Organische, widerspenstige Materialien wie Stroh und weißer, ungebrannter Ton werden oft mit Holz- oder Metallteilen kombiniert oder mit Draht, der zu einem inneren Skelett gebogen wird. Kommen Gegenüberstellung und Disjunktion ins Spiel, entsteht etwas Drittes: In gewissem Sinne handelt es sich um eine Form der Alchemie, einen Prozess, bei dem das Material einen anderen, unteilbaren, immateriellen Status und eine andere Präsenz erhält als das, was es vorher war. Diese Skulpturen erinnern an Automaten, aber mit einer Form, die organischer und weniger ordentlich ist, als wir die physikalischen Regeln und Formen des künstlichen Lebens zu verstehen gelernt haben. Sami Schlichting machte 2016 seinen Abschluss an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er bei Andreas Schulze und Rebecca Warren studierte. Zu seinen jüngsten Ausstellungen gehören Dungeons & Dasein, Lucas Hirsch, Düsseldorf (mit Elin Gonzalez) (2020), Spoilage #2, kuratiert von Wschod Gallery, Warschau, SALTS, Basel (2019), Hereafter, Mélange, Köln (mit Cezary Poniatowski) (2019), RAW, Dumont Kunsthalle, Köln (2019), Where Do Streams Run To?, Damien & The Love Guru x Lucas Hirsch, CFAlive, Mailand (2019), Prati bagnati del monte Analogo, Neuer Essener Kunstverein (2018), Jokes to run a family, Lucas Hirsch, Düsseldorf (2018).

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