30.4. – 14.5.2021,

Epilog: Jasmin Werner, Unschuldsengel

, Projektraum von Westfälischem Kunstverein und LWL-Museum für Kunst und Kultur

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Jasmin Werner, Senorita Latifa Sharifa and mourning angel, 2021, bedruckter Maschendrahtzaun, PVC Banner, beleuchteter Druck, LED Lampe, Stäbe, Bolzen, Nüsse, Aluminium, 160 x 100 x 10 cm

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Epilog markiert das letzte Kapitel eines Jahres in der liebgewonnenen „Hütte“. Epilog beschreibt einen Moment der Reflexion, des Innehaltens und des Rückblicks, aber auch des Aufbruchs und ist selbst eine Abfolge verschiedener Kapitel. Als eine Serie von vier Einzelausstellungen bietet sie einen Einblick in die Herangehensweise der einzelnen Künstler:innen, ihre Arbeitsweisen, Bild- und Materialwelten. Mit neuen Arbeiten, die von Skulptur über Installation bis hin zu Malerei, von forschungsbasierten Prozessen bis hin zu Erkundungen von Narrativen und Populärkultur reichen, verhandeln die vier Stipendiat:innen von Residence NRW⁺, Jasmin Werner, Sarah Buckner, Sami Schlichting und Pablo Schlumberger, die Besonderheiten des Projektraums von Westfälischem Kunstverein und LWL-Museum für Kunst und Kultur als Mittel zur Reflexion der materiellen und diskursiven Rahmenbedingungen ihrer eigenen Praxis. Welche Bedingungen liegen ihr zugrunde, welche Bedingungen setzt sie voraus? Unter Einbeziehung der spezifischen Räumlichkeit und der Fensterfront des Ausstellungsraumes beschäftigt sich diese Serie von Solos auch mit der Idee, was es für die jeweilige Arbeit bedeutet, unter den aktuellen Umständen ausgestellt zu werden. Den Anfang macht Jasmin Werner mit ihrer Einzelpräsentation Unschuldsengel.

Spot an. Senorita Latifa Sharifah mit Engelsflügeln vor – und in – dem Burj Khalifa in Dubai. Für den Bau des mit 828 Metern höchsten Turm der Welt fand auch Stahl aus dem Berliner Palast der Republik Verwendung. Am Standort des 2005 abgerissenen sozialistischen Prunkbaus wurde jüngst das Humboldt Forum errichtet, als Wiederaufbau des ursprünglich hier stehenden Berliner Stadtschlosses. Fassaden, Säulen, Stahl, Beton, Glas. Architekturen der Macht, in denen sich die Ideologie nationaler Grandesse, wahlweise auch der Glaube an eine große Idee, sei es Kapitalismus oder Sozialismus, manifestieren. Aussichtsplattformen erlauben den Blick von oben statt von unten, die Stadt wird zum Erlebnis, der Überblick zur Ware. Und hinter den Fensterrahmen: noch mehr Engel der (Un-)Schuld, nur aus anderen Zeiten. Corporate Identities, eine Hand hält die andere. Western Union und Remitly, send money online fast.

Was wir in den Werken von Jasmin Werner sehen sind Smartphone-Bilder, Logos von Geldtransferdiensten und Ausschnitte aus Archivreproduktionen von Malereien des 15. Jahrhunderts aus größeren sakralen Darstellungszusammenhängen, die dem Westfälischen Kunstverein gestiftet und als Dauerleihgabe dem LWL-Museum für Kunst und Kultur übergeben wurden, wo sie in der aktuellen Sammlungspräsentation ausgestellt sind. Eine Art Transfergeschäft zwischen jenen zwei Institutionen, die der Projektraum als Zwischenraum verbindet. Die klagenden, trauernden, betenden Engel sind Bruchstücke aus dem Hochaltar des Benediktinerklosters Liesborn. Als „noch brauchbare Teilstücke“ wurden sie herausgesägt, als der restliche Altar versehentlich beschmutzt wurde, wie es im Bestandskatalog des Museums heißt. Die vier Engelfragmente sind also noch von Wert – nicht zuletzt als Exponate und Anhaltspunkte für eine aufwändige Rekonstruktion des Altars, an der sich diverse Expert:innen, Institutionen und Sammlungen beteiligten.

Auf Bauschutznetze gedruckt und auf Alurahmen fixiert, werden die Engel, Architekturen und Schriftzüge zu Montagen überlagert und auf einer Bildfläche verschaltet. Zusammen ergeben die von der Decke und an der Wand hängenden bzw. im Raum stehenden, der Fensterfront des Projektraums zugewandten Rahmungen eine Anordnung, die in ihrer provisorischen Materialität ebenfalls an Montage denken lässt: hier wird etwas (wieder) aufgebaut und (re-)konstruiert, hier entsteht etwas. Womöglich nicht von Dauer, aber für den Moment ist es da, als ein Zeichen der Verheißung. Wie Planen auf einem Baustellengerüst, bedruckt mit Bildern einer noch nicht existenten – oder gänzlich imaginierten – Gebäudefassade.

Auch ohne die jeweilige Geschichte der Bilder im Detail zu kennen werden die suggerierten Zusammenhänge spürbar. Denn in den großen institutionellen Geschichten stecken immer auch kleine, persönliche: Unter dem Social Media Alias Senorita Latifa Sharifa verbrigt sich Jasmin Werners in Dubai lebende und arbeitende Cousine. Wie viele andere Migrant:innen aus den Philippinen schickt sie regelmäßig Geld an ihre Familie in der Heimat und unterstützt somit letztlich die gesamte Infrastruktur des Landes. Die Bildmontagen schaffen ein assoziatives Bezugssystem des Transfers und der Zirkulation: Es geht um Austausch und Verschiebung sowohl von Zeichen und deren kulturellem Wert und Bedeutung als auch von Macht und Moral, Schuld und Schulden. Denn die Frage der Schuld ist nie nur eine des Geldes, sondern sogleich eine politische und aufs Engste mit – religiös geprägten – Vorstellungen von Moral verwoben. Insbesondere im Mittelalter bringt die Verschmelzung der sich formierenden Weltreligionen und Handelsmärkte eine Logik und Rhetorik der Schuld hervor, an der sich bis heute wenig geändert hat. Sprechen wir in unserem globalen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem von Abhängigkeit und Freiheit, Vergeben und Sünde, vom Wahren und vom Falschen, läuft es noch immer auf die jahrtausendealte Frage hinaus: Wer ist wem was schuldig?

Text: Marie Sophie Beckmann

Jasmin Werner (geb. 1987 in Troisdorf) lebt und arbeitet in Köln. Ihre Arbeit erforscht oft Architekturen der Macht und Statusobjekte. In ihrer Praxis lenkt sie die Aufmerksamkeit auf den Wunsch, sich an der Natur und einer vormodernen Vergangenheit auszurichten und gleichzeitig Räume der Produktion und des Konsums zu besetzen. Gemäß Werners Ikonologie könnte man auch argumentieren, dass die strukturellen Momente unserer gemeinsamen Realität notwendigerweise innerhalb eines sich wiederholenden Zeitkontinuums verhaftet bleiben. Jasmin Werner begann ihr Studium an der HfG Karlsruhe im Fachbereich Fotografie und schloss ihren Bachelor für Bildende Kunst 2012 an der Rietveld Academy Amsterdam ab. Von 2012 – 2016 besuchte sie die HfbK Städelschule in Frankfurt, zuerst in der Klasse von Simon Starling und später als Meisterschülerin von Peter Fischli. 2013 erhielt sie die Tembe Art Studio-Residenz in Moengo, Surinam des Mondriaan Fonds. 2017 reiste sie als Stipendiatin des National Museum of Modern and Contemporary Art Seoul nach Südkorea. Ihre Arbeiten wurden unter anderem im Kunstverein Braunschweig, Bärenzwinger (Berlin), Kunstverein Ingolstadt, Folkwang Museum (Essen), Damien & The Love Guru (Brüssel), DuMont Kunsthalle (Köln) und Moengo Festival of Art (Suriname) gezeigt. Im September 2021 wird sie ihre Ausstellung Senorita Latifa Sharifah in der Galerie Guido W. Baudach eröffnen.

Eine Kooperation mit:

Die Ausstellung wird gefördert durch:

Begleitprogramm:

8.5. – 14.5.2021,

Schuld und Schulden

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