23.6. – 8.8.2021,

Epilog: Pablo Schlumberger, Horror Vacui

, Projektraum von Westfälischem Kunstverein und LWL-Museum für Kunst und Kultur

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Pablo Schlumberger, Horror Vacui. Installationsansicht Projektraum von Westfälischem Kunstverein und LWL-Museum für Kunst und Kultur 2021

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Epilog markiert das letzte Kapitel eines Jahres in der liebgewonnenen „Hütte“. Epilog beschreibt einen Moment der Reflexion, des Innehaltens und des Rückblicks, aber auch des Aufbruchs und ist selbst eine Abfolge verschiedener Kapitel. Als eine Serie von vier Einzelausstellungen bietet sie einen Einblick in die Herangehensweise der einzelnen Künstler:innen, ihre Arbeitsweisen, Bild- und Materialwelten. Mit neuen Arbeiten, die von Skulptur über Installation bis hin zu Malerei, von forschungsbasierten Prozessen bis hin zu Erkundungen von Narrativen und Populärkultur reichen, verhandeln die vier Stipendiat:innen von Residence NRW⁺, Jasmin Werner, Sarah Buckner, Sami Schlichting und Pablo Schlumberger, die Besonderheiten des Projektraums von Westfälischem Kunstverein und LWL-Museum für Kunst und Kultur als Mittel zur Reflexion der materiellen und diskursiven Rahmenbedingungen ihrer eigenen Praxis. Welche Bedingungen liegen ihr zugrunde, welche Bedingungen setzt sie voraus? Unter Einbeziehung der spezifischen Räumlichkeit und der Fensterfront des Ausstellungsraumes beschäftigt sich diese Serie von Solos auch mit der Idee, was es für die jeweilige Arbeit bedeutet, unter den aktuellen Umständen ausgestellt zu werden. Die letzte Einzelpräsentation der Serie ist Pablo Schlumbergers Horror Vacui.

Will man sich der künstlerischen Praxis von Pablo Schlumberger annähern, mag die Vorstellung eines Netzes hilfreich sein – mal eng-, mal grobmaschiger, vielfältig verknüpft, aber immer durchlässig. Denn die Figuren und Situationen, die er entwickelt, fügen sich nie ganz zu einer einheitlichen Geschichte zusammen. So sind sie kaum greifbar und neigen zur Flucht, nur, um dann an anderen Knotenpunkten wieder aufzutauchen. Horror Vacui erforscht Orte des Trinkens [diese eine Eckkneipe oder der Partykeller der Tante] als Bilder und Strukturen, in denen ein ganz bestimmter kultureller Zeitgeist konserviert zu sein scheint. Die Möglichkeit der Vergänglichkeit gerät dabei jedoch selten direkt in den Blick, sondern dient vielmehr als Ausgangspunkt für weitere Er-kundungen. Aber was bleibt übrig, wenn es nichts mehr zu tun gibt, außer allein zu trinken? Im Spiel mit Fußnoten und Verdopplungen entwickelt sich die Installation entlang zweier Konzepte, die für Pablo Schlumbergers Praxis besonders relevant sind: das scheinbar Unbedeutende und sein Wert. Einige der hier aufzufindenden Objekte könnten als „second hand“, „vintage“, „DIY“ betitelt werden, andere scheinen einfach nur aus der Zeit geraten. Und doch bieten sie einem – mehr oder weniger diskret – genau jenen Drink an, nach dem man sich gesehnt hat.

Schlumbergers Installationen taumeln innerhalb eines nur vordergründig flüssigen Konzepts: Wasser [oder hier: Alkohol]. In einem solchen Gedankengebäude sind die Gänge leicht verschoben und Zeichen laufen immer Gefahr, abzudriften, zu verrutschen und uns den Rücken zuzukehren. Oft scheitern Objekte und Bilder in ihrer Funktion als Behälter oder Inhalt. Schwankend zwischen ihrer Zeichenhaftigkeit innerhalb des Bildes und größeren Bedeutungszusammenhängen, schleichen sie sich wie kleine Störmomente in Hoch- und popkulturelle Semantiken ein. [Was sollen wir von einem Telefon halten, das in einem Glas Wein schwimmt? Oder von einem Wachsrelief, das die Serie von Malereien inspiriert hat? Es fängt doch nur Staub und wartet darauf zu schmelzen, wenn die Nachmittagssonne durch die offene Tür in die Bar hereinbricht.]

Hier steht selten etwas für sich selbst. Oder anders ausgedrückt: In dieser Ausstellung lassen sich Objekte finden, die als Echo oder Repositorium fungieren. Vielleicht gibt es sogar einige Objekte, die als Referenzen dienen, eben weil sie nicht wirklich wichtig sind. Er schon wieder (II) evoziert beispielsweise das Motivrepertoire eines Carl Spitzweg genauso wie das kommende Ausstellung extravagante und gleichsam vertraute Interieur deutscher Haushalte der Jahrhundertmitte – und verweist somit auf das kulturelle Patchwork der deutschen Nachkriegszeit. Hier geht es um Bilder, so oft verdaut, dass sie ihre Substanz verloren haben [wie dieser angeschipperte Mönch], und somit als anekdotisches Dekor endlos reproduziert werden. Aber hier geht es ausschließlich um das, was auf dem Barhocker neben der Anekdote sitzt – und sich als durchaus ernsthafte Angelegenheit entpuppt.

Nehmen wir die Minibar. Ein dekadentes Behältnis, häufig versteckt in profanen Gegenständen oder als solche getarnt. Das Trinken als Moment, in dem der Sinn verloren geht, während sich die Gewohnheit als Kultur manifestiert. Ein Moment, an dem das Belanglose kristallisiert, zumal die Verdoppelung des Blicks weder Bedeutung noch Wert zu schaffen vermag. Ein Gadget, das die Beherrschung des eigenen Alleinseins fordert. Ein exklusives Erlebnis für diejenigen, die wissen, was sich im Inneren der Uhr verbirgt.

[Das ist die Sache mit Pablo; alles ist da, aber er wird nie freiwillig die ganze Geschichte erzählen. Wie die von dem, dessen Haus anfing zu brennen, aber sich der Feuerlöscher als Minibar entpuppte. Er nahm stattdessen einen Drink und schaute entgeistert auf die Leere, die langsam an die Stelle seines Hauses trat.]

Text: Julie Robiolle

Pablo Schlumberger (geb. 1990 in Aachen, Deutschland) lebt und arbeitet in Köln. Quer durch die Bereiche Skulptur, Malerei, Installation und Medienkunst schöpft er aus dem Fundus verschiedener (kunst-)historischer Epochen sowie der Hoch und Popkultur. Schlumberger beschäftigt sich in seinen Arbeiten auf humoristische Weise mit der Frage nach Repräsentation und Wahrnehmung. Alltagsgegenstände, die Tradition und Moderne vereinen und dabei ihre Spezifik verloren haben - wie Architekturen, Münzen und Brunnen, fungieren dabei als wiederkehrende Motive. Sie scheinen in seinen Arbeiten ein Eigenleben zu entwickeln oder verhalten sich wie „solid liquids”, wie zwei Seiten derselben Münze, die die zunehmend toxische Vereinfachung kultureller Kompositionen in unserer alltäglichen Umgebung verdeutlichen. Zu den jüngsten Einzelausstellungen gehören Kennen Sie Köln? Ne, meine Braut ist die See, Drawing Room, Hamburg (2021) und Merry May, Galerie Genscher, Hamburg (2019). Er wurde für das einjährige Nationale Nachwuchsstipendium des Kunstvereins Hannover ausgewählt, das er 2022 antreten wird. Im Jahr 2020 nahm er an der Ausstellung der Hamburger Arbeitsstipendiaten in der Sammlung Falckenberg teil, das er im Jahr zuvor erhielt. Er war in diversen Gruppenausstellungen vertreten, darunter Realismus mit Schleife, Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg (2019), The Finest Bubble, YELLOW artspace, Varese, Italien (2019), Further thoughts on earthy materials, Kunsthaus Hamburg (2019) sowie the dead are losing, Klosterruine, Berlin (2018).

Eine Kooperation mit:

Die Ausstellung wird gefördert durch:

Begleitprogramm:

25.6.2021, 16:30 Uhr,

Tutto Domani

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